Sei es durch einen Unfall oder einfach nur durch das fortschreitende Alter: wird ein Familienangehöriger zu einem Pflegefall, sitzt nicht nur der Schock tief, es muss auch schnell eine Entscheidung bezüglich der Pflege gefällt werden. Soll die betroffene Person in einem Heim oder durch die eigenen Angehörigen gepflegt werden? Letzteres bevorzugen die meisten, nicht nur, weil es schwer fällt den/die Betroffene/n in ein Pflegeheim zu stecken, sondern weil dies oftmals natürlich auch mit hohen Kosten verunden ist.
Doch einen Angehörigen selbst zu pflegen, ist nicht nur eine große Herausforderung – es bringt auch den ganzen Alltag durcheinander. Wer sich für die häusliche Pflege entscheidet, sollte jedoch nicht nur dies bedenken, sondern auch wissen, dass es dabei einiges zu beachten gibt. Denn wer sich und seiner Familie zu viel zumutet, kann schnell an der Überlastung scheitern.
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Umfrage zeigt: Pflegende leiden unter der Belastung
Eine Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse, bei der pflegende Angehörige zu ihrer Belastung befragt wurden, brachte absehbar wenig Schmeichelhaftes über den deutschen Pflegenotstand zutage (Quelle: http://www.tk.de/tk/pressemitteilungen/politik/658440):
➜ Am häufigsten kümmern sich Töchter und Schwiegertöchter um pflegebedürftige Angehörige von denen über ein Drittel keinerlei Zeit hatte, in die pflegerischen Aufgaben hineinzuwachsen.
➜ 50 Prozent aller Pflegenden sind zwischen 50 und 65 Jahren alt und damit selbst nicht mehr die Jüngsten. Ebenso viele der Befragten sind neben der Pflege noch berufstätig, allerdings mussten rund 30 Prozent dieser Berufstätigen aufgrund der Pflege eines Angehörigen ihre Arbeitszeit reduzieren.
➜ Rund 14 Prozent müssen sich täglich um einen pflegebedürftigen Angehörigen kümmern und bei etwa jeder/jedem dritten pflegenden Angehörigen leidet die eigene Gesundheit unter der Pflege.
Wie kann man es also als Angehöriger eines pflegebedürftigen Menschen schaffen, Angehörigen die oft menschenunwürdigen Zustände eines Pflegeheimes zu ersparen, selbst dabei gesund zu bleiben und das Ganze auch noch bezahlbar zu halten?
Hauptmotivation der überwiegenden Mehrheit (81 Prozent) der pflegenden Menschen ist das Wissen, dass ihr Angehöriger dadurch weiter zu Hause wohnen kann, sowie schlichte finanzielle Überlegungen. Eine vor allem menschenwürdige Pflege ist in Deutschland allerdings kaum noch bezahlbar. Sozialverbände nennen Zahlen, die zum Teil deutlich über 3.000 Euro pro Monat liegen. Das übersteigt nicht nur die Renten der meisten Pflegebedürftigen, sondern auch die finanziellen Möglichkeiten ihrer Familien.
Checkliste für die Pflege zuhause
Egal ob ein Kind, ein Elternteil oder der Ehepartner Pflege benötigt & die Entscheidung, ob die Pflege zu Hause erfolgen kann oder in einem Pflegeheim erfolgen muss, steht fast immer im Raum. Um diese Frage zu klären, ist zunächst eine nüchterne Analyse der Situation notwendig, denn es gibt Fälle, bei denen die Pflege in den eigenen vier Wänden praktisch unmöglich ist. Ist die häusliche Pflege möglich und entscheiden Sie sich dafür, sollten Sie sich vorher dennoch über einige wichtige Punkte Gedanken machen. Denn auch, wenn Sie Ihren Familienangehörigen unbedingt pflegen wollen, können ein paar wichtige Punkte das ganze Vorhaben von Vornherein zum Scheitern verurteilen. Checken Sie deshalb unbedingt vorher diese Punkte ab:
➤ Die/der Pflegepatient/in:
- Welche Arten von Hilfe benötigt der Pflegepatient (z.B. Hilfe beim Aufstehen oder zu Bett gehen, beim Anziehen, Waschen etc.)?
- Welche Angebote für die zu betreuende Person gibt es in der Umgebung? Welche Möglichkeiten der sozialen Kontaktpflege können genutzt werden, um einer Vereinsamung vorzubeugen?
➤ Die/der Pflegende:
- Wie viele Stunden müssen täglich für die Pflege aufgebracht werden?
- Muss die/der Pflegende seine Berufstätigkeit aufgeben oder kann nur noch in Teilzeit gearbeitet bzw. kann für eine gewisse Zeit eine Freistellung vom Arbeitsplatz beantragt werden?
- Wie werden daraus entstehende Nachteile (Einkommen, Rente etc.) geregelt bzw. kompensiert?
- Ist das alles körperlich und psychisch zu bewältigen?
- Wird ein Pflegekurs benötigt (kostenlose Schulungen über Pflegekassen und Pflegedienste)?
➤ Organisatorische und finanzielle Fragen:
- Wurde eine Pflegestufe beantragt und wurden alle Möglichkeiten finanzieller Unterstützung (u.a. der Antrag auf Befreiung der Zuzahlung für Medikamente) ermittelt und beantragt/ausgeschöpft?
- Wieviel Geld ist von der Pflegeversicherung zu erwarten und reicht das für Fremdleistungen eines fachkundigen Pflegedienstes?
- Wurde ein Behindertenausweis beantragt/genehmigt bzw. im Falle einer zu niedrigen Eingruppierung oder kompletten Ablehnung Widerspruch eingelegt?
- Ist evtl. die Mitgliedschaft in einem Sozialverband, wie dem VdK sinnvoll, um die kostenlosen oder günstigen Beratungsangebote (u.a. bei abgelehnten Bescheiden für Pflegestufen, Schwerbehinderungen etc.) zu nutzen?
- Gibt es eine Vorsorgevollmacht bzw. Patientenverfügung? Um bei einem plötzlich eintretenden Pflegefall die volle Handlungsfähigkeit zu haben, sollten rechtzeitig entsprechende Vollmachten erteilt werden, denn Krankenhäuser, Ärzte, Banken usw. geben ohne sie keinerlei Auskünfte und es kann nicht im Namen der zu betreuenden Person gehandelt werden.
➤ Wohnung und Umfeld:
- Wie ist die häusliche Situation? Ist das Wohnumfeld pflegegeeignet? (siehe z.B. Demenzkranke durch Angehörige pflegen – Tipps für eine demenzgerechte Wohnung)
- Ist die Wohnung groß genug, behindertengerecht eingerichtet bzw. mit endlichem Aufwand umzubauen? Ist speziell das Bad dafür geeignet und groß genug? Sind die Türen breit genug für einen Rollstuhl?
- Was kostet solch ein Umbau und welche Zuschüsse gibt es dafür?
- Falls es sich um eine Mietwohnung handelt: Dürfen entsprechende Umbaumaßnahmen überhaupt vorgenommen werden?
- Wenn es gar nicht anders geht: Muss gegebenenfalls ein Umzug erfolgen?
- Sonstige Anschaffungen, die evtl. notwendig werden: Rollstuhl, Toilettenstuhl bzw. Toilettensitzerhöhung, Treppenlift, Pflegebett oder Spezialmatratze, Patientenlifter, Rollator, Badewannenlift, Badewannen- oder Duschsitze, Hausnotrufsystem („roter Knopf“) für den Fall, dass die zu betreuende Person alleine zu Hause ist und Hilfe benötigt, Verbrauchsmittel wie Desinfektionsmittel, Pflegehandschuhe usw.
➤ Wer kann bei der Pflege sonst noch helfen?:
- Gibt es weitere Verwandte, Geschwister, ehrenamtliche Mitarbeiter oder Sozialstationen, die aushelfen können?
- Gibt es die Möglichkeit einer Tages- oder Kurzzeitpflege vor Ort, um persönliche Auszeiten, Urlaub oder Krankheiten der Pflegenden überbrücken zu können? Wie lange sind die Anmeldezeiten?
- Kann zur Unterstützung eine Pflegehilfe aus Osteuropa (z.B. Polen) eingestellt werden? (wichtige Informationen dazu auf https://www.youtube.com/watch?v=6NSknllD0Sg)
Durchsetzungsvermögen & Ehrlichkeit sind gefragt
Zuletzt möchten wir noch speziell auf einige heikle Punkte hinweisen, die gerade in der häuslichen Pflege oft zu familieninternen Spannungen und Streit mit anderen Familienmitgliedern oder den Pflegepatienten führen:
➜ definieren Sie die Aufgaben aller Beteiligten klipp und klar
➜ grenzen Sie sich als Pflegende/r ab
➜ sprechen Sie über Geld
Gerade auf diese Punkte wird zu Beginn der häuslichen Pflege oft nicht geachtet. Es passiert ja meist überraschend und entsprechend wird eine schnelle und pragmatische Lösung benötigt. Natürlich kann es da sinnvoll sein, dass sich die vor Ort wohnende Tochter oder Schwiegertochter erstmal um die Pflege kümmert. Aber mit dem entfernt wohnenden Sohn, der noch dazu beruflich so sehr eingespannt ist, muss dann zumindest über eine finanzielle Beteiligung gesprochen werden.
Eine gute Alternative: die 24-Stunden-Pflege
Natürlich ist den meisten Pflegepatienten die möglichst umfassende Betreuung durch einen Angehörigen lieber als zum Beispiel eine osteuropäische Pflegekraft. Aber wenn es nicht anders geht, müssen Sie auch gegenüber dem Patienten Klartext sprechen. Wenn die Alternative das Pflegeheim wäre, ist eine polnische Pflegekraft aber auf jeden Fall die bessere Lösung.
Gleiches gilt für die Geldfrage: Wenn Sie als die oder der Pflegende Gehaltseinbußen hinnehmen müssten, die annähernd den Kosten für eine Pflegekraft aus Osteuropa entsprechen, sollten Sie innerhalb Ihrer Familie auch darüber & also über Geld – sprechen. Eine individuelle Kostenkalkulation finden Sie z.B. unter http://www.pflegehelden.de/24-stunden-pflege-kosten. Denn die traurige Realität ist, dass die Pflegenden oft nicht nur mit den täglichen Problemen der Pflege, sondern auch mit ihren finanziellen Einbußen allein gelassen werden. Auch deshalb ist die Lösung über externe Dritte eine Überlegung wert: Hier liegen die Kosten klar auf dem Tisch und müssen von allen Beteiligten getragen werden.
Fazit und Empfehlung:
In fast allen Fällen, in denen es möglich ist, sollte die häusliche Pflege dem Pflegeheim vorgezogen werden. Allerdings ist es vorher enorm wichtig, dass Sie sich über die physiche, psychische und finanzielle Belastung genau Gedanken machen. Es ist zwar lieb, wenn Sie sich um den kranken Menschen kümmern – sollten Sie an der Belastung scheitern, bringt das aber keinem etwas. Also gestehen Sie sich lieber vorher ein, dass Sie dem Ganzen nicht gewachsen sind.
Wenn Sie Ihren Angehörigen zuhause haben möchten, aber mit der Pflege selbst nicht klar kommen, empfehlen wir Ihnen auf jeden Fall mal über die Möglichkeit und die Kosten einer externen Pflegekraft (zum Beispiel aus Osteuropa) nachzudenken.