In Deutschland wird die Schwerionentherapie zur Behandlung bestimmter Tumoren erst seit wenigen Jahren eingesetzt. Die Erfolge geben den Forschern recht: Immer mehr Patienten können nachhaltig von bislang schwer erreichbaren oder kaum zerstörbaren Tumoren geheilt werden. Die Bestrahlung mit Ionen ist dabei nicht nur besonders effektiv, sondern auch schonend.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Photonenstrahltherapie schädigt gesunde Zellen
- 2 Unterschied: Photonen- und Ionenstrahlung
- 3 Protonen- und Schwerionentherapie weltweit
- 4 Das Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT)
- 5 Bessere Heilungschancen durch weitere Forschung
- 6 Welche Tumoren werden im HIT behandelt?
- 7 Klinische Studien – Stand der Forschung
- 8 Die Technik – Ionenbeschleunigung und Gantry
- 9 Bestrahlung und Behandlungsablauf
- 10 Welche Krankenkassen übernehmen die Kosten?
Photonenstrahltherapie schädigt gesunde Zellen
Die Diagnose Krebs ist für jeden Menschen mit großen Ängsten und Unsicherheiten verbunden. Die je nach Erkrankung nach oder vor einer Operation notwendigen Chemo- und Strahlentherapien zerstören zwar einen Großteil der Tumorzellen, doch auf der anderen Seite schwächen die Therapien gleichzeitig den Körper und schädigen gesunde Organe. Die herkömmliche Strahlentherapie mithilfe von Photonen kann außer den Tumorzellen auch das umliegende Gewebe zerstören, sodass jede Bestrahlung grundsätzlich mit gesundheitlichen Einschränkungen verbunden ist.
Bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts – also seit über 100 Jahren – forschen Physiker und Mediziner an einer schonenderen und effektiveren Methode, Tumorzellen zielgenauer abzutöten. Was in den USA bereits seit den 70er Jahren erfolgreich durchgeführt wird, steckte in Deutschland noch in den 90er Jahren in den Kinderschuhen: die Protonen- und Schwerionentherapie. Mittlerweile gehört Deutschland auf dem Gebiet der schonenden Schwerionentherapie weltweit zu den Vorreitern.
Unterschied: Photonen- und Ionenstrahlung
In der konventionellen Strahlentherapie kommen Röntgen- bzw. Gammastrahlen zum Einsatz. Diese Strahlung besteht aus kleinen Lichtteilchen, den Photonen. Deshalb ist auch von Photonenbestrahlung die Rede. Einige Tumoren sind gegenüber der Photonenbestrahlung jedoch äußerst unempfindlich. Andere Tumoren liegen entweder zu tief oder neben sehr strahlenempfindlichen Geweben wie Sehnerv, Hirnstamm oder Darm. In diesen Fällen sind die Einsatzmöglichkeiten der Photonenbestrahlung entweder sehr begrenzt oder die Behandlung ist zu risikoreich.
Im Vergleich zu Photonenstrahlen zeichnen sich Ionenstrahlen (geladene Atome) durch spezifische physikalische Eigenschaften aus, die bei der Behandlung tief liegender Tumore höchste Effizienz entwickeln. Die Tumoren werden präziser getroffen, während das umliegende Gewebe geschont wird, da Ionenstrahlen beim Eindringen in den Patienten zunächst sehr wenig, und erst tiefer im Gewebe die höchste Dosis abgeben. Diese hohe lokale Dosisabgabe nennt man auch den Bragg-Peak (nach dem englischen Physiker William Henry Bragg 1862 – 1942). Der Bragg Peak lässt sich so genau berechnen, dass sich die zerstörerische Wirkung der Ionenstrahlen exakt und ausschließlich im Tumorgewebe entfaltet. Schwerionen, wie beispielsweise Kohlenstoffionen, sind bei bestimmten Tumorarten biologisch noch wirksamer.
Die Ionenstrahltherapie wurde in den 90er Jahren unter anderem am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt entwickelt. 1997 erfolgte die erste Patientenbehandlung mit Kohlenstoff-Ionen am GSI-Therapieplatz. Seit 2009 wird die Schwerionentherapie am Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) des Universitätsklinikum Heidelberg angewendet.
Protonen- und Schwerionentherapie weltweit
Außer dem Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) nutzen in Deutschland das Hahn-Meitner-Institut und die Berliner Charité die Behandlungsmethode mittels Protonenstrahlen im Bereich Augentumore. Ferner bieten das Westdeutsche Protonentherapiezentrum in Essen und das Rinecker Proton Therapy Center (RPTC) in München umfassende Therapien gegen bestimmte Tumore an.
Europaweit existieren einzelne Behandlungszentren in
- Frankreich
- Großbritannien
- Italien
- Österreich
- Russland
- Schweden
- und in der Schweiz.
Außerhalb Europas gehören insbesondere die Therapie-Institute in Japan und den USA zu den weltweiten Vorreitern. Weitere Protonentherapiezentren wurden in China, Kanada und Südafrika ins Leben gerufen.
Das Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT)
Das im November 2009 eröffnete HIT (www.klinikum.uni-heidelberg.de) ist zugleich die weltweit erste Ionentherapie-Anlage mit dem präzisesten Bestrahlungsverfahren und mit einer um 360° drehbaren Bestrahlungsquelle (Gantry). An der ersten kombinierten Therapieanlage Europas wird sowohl mit Protonen als auch mit Schwerionen bestrahlt. Protonen und Schwerionen sind positiv geladene Atomkerne. Während Protonen positiv geladene Kerne von Wasserstoffatomen sind, handelt es sich bei Schwerionen um positiv geladene Kerne von Atomen größerer Masse wie zum Beispiel Kohlenstoff-, Sauerstoff- und Heliumionen. Diese kommen auch im HIT zum Einsatz.
Bessere Heilungschancen durch weitere Forschung
Die kombinierte Anlage ermöglicht in Zukunft vergleichbare klinische Studien. So kann bei bestimmten Tumorerkrankungen ermittelt werden, ob eine Protonen- oder eine Schwerionenbestrahlung eine bessere Heilung verspricht. Zudem wird erforscht, bei welchen einzelnen Krebserkrankungen Kohlenstoff-, Sauerstoff- oder Heliumionen am wirkungsvollsten zum Einsatz kommen.
Zwei Behandlungsplätze sind mit einer festen horizontalen Strahlführung ausgestattet, der dritte mit einer beweglichen Bestrahlungsquelle (Gantry). Die Gantry rotiert dabei um 360° um den Patienten. Mit Stand Ende 2012 sind seit der Eröffnung mehr als 1.000 Patienten an den beiden Horizontal-Bestrahlungsplätzen bestrahlt worden. Am 19. Oktober 2012 erfolgte die Behandlung der ersten drei Patienten am dritten Bestrahlungsplatz. Das HIT rechnet damit, jährlich etwa 750 Patienten behandeln zu können. Weltweit gilt das HIT als eines der größten und modernsten Zentren für Strahlentherapie und Radioonkologie.
Welche Tumoren werden im HIT behandelt?
Bei etwa zehn Prozent der Krebspatienten können die Tumoren nicht mit der konventionellen Photonenbestrahlung bekämpft werden. Es handelt sich um Tumoren, die tief im Körper liegen oder gegenüber herkömmlicher Bestrahlung sehr widerstandsfähig sind oder die von strahlenempfindlichem Gewebe wie Sehnerv oder Darm umschlossen werden. Patienten, die an diesen Tumoren leiden, können sich im HIT behandeln lassen. Mit Stand von Mitte 2013 werden im HIT folgende Tumoren bestrahlt:
- Chordome* und Chondrosarkome** der Schädelbasis
- Speicheldrüsenkarzinome
- Chordome und Chondrosarkome des Beckens
- kindliche Tumoren
- neuroonkologische Tumoren
- Leberzellkarzinome
- Inoperable Enddarmkrebsrezidive
- Inoperable Knochensarkome
- Prostatakrebs
Augentumoren werden im HIT nicht behandelt, sondern ausschließlich an Bestrahlungsgeräten mit niedrigeren Energien. Die Therapie wird an der Augenklinik der Berliner Charité angeboten.
*Bei Chordomen handelt es sich um Geschwülste der Wirbelsäule, die in etwa 10 Prozent der Fälle metastasieren. Chordome machen ca. 1 Prozent aller Knochentumoren aus und treten üblicherweise jenseits des 30. Lebensjahres auf. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Die konventionelle Therapie besteht in der chirurgischen Entfernung, die nicht immer vollständig vorgenommen werden kann, sodass in der Regel eine Strahlentherapie angeschlossen wird.
**Bei einem Chondrosarkom handelt es sich um einen bösartigen Knochentumor, dessen Zellen Knorpel bilden. Das Chondrosarkom tritt im Erwachsenenalter häufiger bei Männern und bevorzugt in den Beckenknochen und am rumpfnahen Oberschenkelknochen auf. Chondrosarkome sind gegenüber einer Chemotherapie wenig empfindlich, wobei bei einer Bestrahlung relativ hohe Dosen benötigt werden.
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Klinische Studien – Stand der Forschung
Einigen Tumorarten konnten mithilfe der Schwerionentherapie bereits erfolgreich behandelt werden. Laut der Angabe des HIT lag in klinischen Studien die lokale Tumorkontrollrate nach fünf Jahren bei Chordomen bei 70 Prozent. Nach vier Jahren lag sie bei adenoidcystischen Tumoren der Speicheldrüse bei 77,5 Prozent und bei Chondrosarkomen bei 89,8 Prozent. Bei diesen Tumoren führt das HIT zur Optimierung der Behandlung weitergehende Studien durch.
Für verschiedene andere Krebserkrankungen wie Hirntumoren, Hals-Nasen-Ohrentumoren, Prostatatumoren, Knochentumoren und Lebertumoren erfolgt die Untersuchung der Ionentherapie in weiteren klinischen Therapiestudien. Zukünftig wird sich die Forschung noch auf andere Tumoren ausdehnen.
Die Technik – Ionenbeschleunigung und Gantry
Für die Wirksamkeit der Ionentherapie müssen die Ionen zunächst beschleunigt werden. Der Teilchenbeschleuniger des HIT bringt die geladenen Atome auf 75 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Diese wird im so genannten Synchrotron erzeugt, indem sechs 60°-Magneten die Ionenstrahlen auf einer Kreisbahn halten. Während jeder der mehrere Millionen Umläufe erhalten die Teilchen mehr Energie und werden dadurch schneller.
» Auswirkungen auf den menschlichen Körper
Um einen Tumor im menschlichen Körper zu treffen, benötigen die Ionen eine exakt berechnete Geschwindigkeit. Ist diese erreicht, werden die Ionen auf die beiden horizontalen Behandlungsplätze oder zur Gantry geführt. An der Gantry werden Tumoren bestrahlt, die mit einem Horizontalstrahl nicht oder nur bei hoher Belastung von gesundem Gewebe zu erreichen sind. Die Gantry dreht sich mit 360° um den Patienten, um schwer erreichbare Tumoren zu bestrahlen.
Die Gantry ist 24 Stunden täglich in Betrieb. Der erzeugte Strahl wird rund um die Uhr für therapeutische oder Forschungszwecke genutzt, wobei Patientenbestrahlungen sechs Tage, 12 bis 14 Stunden täglich in Anspruch nehmen. Die Gantry wiegt 670 Tonnen, ist 25 Meter lang, misst im Durchmesser 13 Meter und arbeitet sehr präzise. Der Ionenstrahl dringt bis zu 30 Zentimeter ins Gewebe ein und weicht höchstens einen Millimeter vom Ziel ab. Die Gantry gewährleistet eine Bestrahlung mit Schwerionen und Protonen aus jeder Richtung. Der robotergesteuerte Bestrahlungstisch wird in sechs Richtungen justiert, wobei sich in Kombination beliebig viele Einstrahlrichtungen für den Behandlungsstrahl ergeben, sich somit im Tumor die Strahlenbündel der verschiedenen Einstrahlrichtungen überschneiden und zur Gesamtdosis addieren. Zu diesem Zweck ist die Gantry mit dem präzisen Rasterscan-Verfahren ausgestattet. Dieses Verfahren tastet den Tumor millimetergenau ab, sodass gesundes Gewebe optimal geschont und nur mit einem Bruchteil der Tumordosis belastet wird. Insbesondere bei komplizierten Tumorlokalisationen in der Nähe strahlenempfindlicher Organe werden diese durch die Wahl der günstigsten Einstrahlrichtungen ausgespart. Der Ionenstrahl kann während der Bestrahlung so exakt gesteuert werden, weil geladene Teilchen sich mit Hilfe von Magnetfeldern in verschiedene Richtungen lenken lassen.
Bestrahlung und Behandlungsablauf
Der Therapiestrahl muss den Tumor genau treffen. Zu diesem Zweck werden zum einen die Umrisse des Tumors mit höchster Präzision ermittelt. Zum anderen wird der Patient exakt positioniert und ruhig gestellt.
Zunächst erfolgt die dreidimensionale Darstellung des Tumors inklusive seiner Umgebung auf dem Bildschirm per Schichtaufnahmen. Mithilfe dieser Daten sowie der von den behandelnden Medizinern ermittelten Solldosen für den Tumor und Toleranzdosen für das gesunde Gewebe berechnet der Computer die optimale Strahlendosis für jeden einzelnen Punkt im Tumor. Gleichzeitig ermittelt er für den Therapiestrahl die günstigsten Einstrahlrichtungen.
Um die Patienten zu fixieren, werden individuelle Kunststoffmasken angefertigt. Diese den Kopf dicht umschließende Masken haben lediglich Aussparungen für Mund und Nase und werden mittels Metallrahmen mit der Liege verschraubt. Bezugspunkte auf der Kopfmaske markieren dabei die Tumorposition. Auf diese Weise kann der Therapiestrahl auch bei aufeinander folgenden Bestrahlungen immer auf die exakte und gleiche Stelle gerichtet werden. Liegt der Tumor an anderer Stelle, umschließen weitere Lagerungshilfen etwa den Brust- und Beckenbereich.
» Strahlenschutz der Außenwelt
Über zwei Meter dicke Wände, Decken und Böden umgeben die Behandlungsräume und schützen die Außenwelt vor den energiereichen Strahlen. Die Tische aller drei Bestrahlungsräume sind in zwei Achsen beweglich und werden robotergesteuert in die berechnete Position gefahren. Röntgengeräte und Sensoren prüfen die Genauigkeit der Positionierung und der Bestrahlung permanent.
Der Therapiestrahl muss die DNA jeder einzelnen Tumorzelle irreparabel zerstören. Da dies hauptsächlich während der Zellteilung Erfolg verspricht, sind grundsätzlich mehrere aufeinander folgende Bestrahlungen notwendig. Die Bestrahlungspausen sollen in erster Linie dazu beitragen, dass sich mitbestrahltes gesundes Gewebe erholt. Die in den Krebszellen entstandenen Schäden erholen sich langsamer als die Schäden in gesunden Zellen. Daher addieren sich im Tumor die Strahlenschäden der einzelnen Bestrahlungen, bis er schließlich ganz zerstört ist.
» Dauer der Behandlung
Die meisten Bestrahlungen dauern nur wenige Minuten. Seltener können sie auch bis zu einer halben Stunde betragen. Die gesamte Behandlung dauert mehrere Wochen und besteht aus etwa 20 Einzelbestrahlungen. Nach der Behandlung erfolgt die Kontrolle und es wird gemessen, inwieweit sich der Tumor verkleinert hat oder komplett verschwunden ist.
Welche Krankenkassen übernehmen die Kosten?
Die Radiologische Universitätsklinik Heidelberg hat mit den Krankenkassen einen Vertrag geschlossen, nach dem die Kosten für eine Strahlentherapie mit Protonen und Schwerionen für alle Tumorpatienten übernommen werden, die nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) von der Therapie profitieren.
Mit Stand von Mitte 2013 übernehmen unter anderem folgende Krankenkassen die Kosten für eine Protonen- oder Schwerionentherapie:
- Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK)
- IKK Classic
- Kaufmännische Krankenkasse (KKH)
- Techniker Krankenkasse (TK)
- Die meisten BKKs
- weitere einzelne Krankenkassen.
Eine aktualisierte Liste der kostenübernehmenden Krankenkassen findet sich unter: (http:/www.klinikum.uni-heidelberg.de/Kostenuebernahme.112996.0.html)
Wer sich über die Möglichkeiten einer Ionentherapie informieren möchte, kann sich sowohl telefonisch als auch per Mail an das HIT wenden:
- Informationstelefon: +49 6221 56-54 45, montags bis freitags von 8:00 bis 16:00 Uhr
- strahlentherapie@med.uni-heidelberg.de