Einer der Hauptgründe für Rückenschmerzen ist falsches Sitzen. Wer mehrere Stunden hintereinander stocksteif am Computer verbringt, fühlt sich am Ende des Tages wie gerädert. Wer über den gleichen Zeitraum aktiv dynamisch sitzt und seine Sitzhaltung ständig ändert, wird seinen Feierabend locker und entspannt genießen können.
Nicht nur Arbeitnehmer sitzen falsch. Immer mehr Schüler sitzen sich am heimischen Schreibtisch förmlich den Rücken krumm – mit dramatischen Langzeitfolgen. Doch was passiert mit Muskulatur, Bandscheiben und Wirbelsäule, wenn man falsch sitzt? Und wie sitzt man eigentlich aktiv dynamisch?
Inhaltsverzeichnis
Muskuläre Dysbalance durch unbewegtes Sitzen
Die sogenannte autochthone Rückenmuskulatur übernimmt die wichtige Stützfunktion und ist zugleich der wesentlichste Teil des aktiven Bewegungsapparates. In der Medizin spricht man auch vom „Musculus erector spinae“ oder „Aufrichter der Wirbelsäule“. Die Muskelgruppe dient der Aufrichtung, dem Strecken, der Rotation und der Seitneigung der Wirbelsäule. Wird der Musculus erector spinae nicht bewegt bzw. werden Teile der Muskelgruppe einseitig gedehnt, kommt es zur muskulären Dysbalance, die auch die Muskeln der allochthonen Rückenmuskulatur wie unter anderem
- Musculus latissimus dorsi (großer Muskel jeweils rechts und links neben der Wirbelsäule)
- und Musculus trapezius (Nacken) betreffen kann.
Muskuläre Dysbalancen äußern sich in verstärkten Muskelverkürzungen bzw. Muskelabschwächungen zwischen Agonist und Antagonist durch einseitige Kraftentwicklung bei gleichzeitiger Vernachlässigung ihrer Dehnungsfähigkeit. Muskuläre Dysbalancen im Rücken werden hinsichtlich einer falschen Sitzhaltung durch mangelnde Beanspruchung und einseitige Belastung hervorgerufen. Die Folgen sind chronische, schmerzhafte Verspannungen. Massagen und Wärme lindern die Schmerzen nur kurzfristig. Langfristig kann eine durch unbewegtes Sitzen hervorgerufene muskuläre Dysbalance nur durch eine bewegt dynamische Sitzhaltung sowie durch ausgleichenden Sport therapiert werden.
Bandscheibenschäden durch ausschließlich gerades Sitzen
Früher hieß es immer: „Gerade sitzen“ Doch dieser Rat für eine gute Haltung ist bereits überholt, denn mittlerweile ist es wissenschaftlich erwiesen, dass eine gerade Sitzhaltung den Bandscheiben mehr schadet.
Bandscheibenvorfälle können sowohl durch plötzliche Belastung als auch durch permanenten Bewegungsmangel entstehen. Letzteres ist umso gravierender, als sich eine dauerhaft geschädigte Bandscheibe erst nach Jahren melden kann. Ein Bandscheibenvorfall basiert in der Regel auf einer langjährigen Vorschädigung.
» Wie entsteht ein Bandscheibenvorfall?
Der Gallertkern der Bandscheibe besteht zu 80 Prozent aus Wasser und übernimmt bei Belastung zusammen mit den Knorpelringen und den Membranen die Funktion einer Art hydraulischen Puffers. Bandscheiben werden nicht direkt aus dem Blutkreislauf heraus mit Nährstoffen versorgt, sondern durch Diffusion. Das heißt: Die Flüssigkeit dringt durch die semipermeable (halbdurchlässige) äußere Membran der Bandscheibe ins Innere. Die Membranen sind durch die Knorpelringe der Wirbelsäule voneinander getrennt. Durch übermäßige oder ruckartige Extrembelastung können die Membranen einreißen. Die Bandscheibe wird nicht mehr versorgt und der Gallertkern trocknet aus, fällt bei der nächsten Gelegenheit vor und drückt auf das Rückenmark. Die Folge: mögliche Lähmungserscheinungen und unerträgliche Schmerzen.
» Bandscheibenvorfall durch Bewegungsmangel
Ebenso gut kann der Gallertkern auch durch Bewegungsmangel unterversorgt werden. Durch eine stundenlang einseitige Sitzhaltung werden die Membranen selbst nicht mehr hinreichend durchblutet, weshalb sie während dieser Zeit ihre Funktion einbüßen und der Gallertkern nicht mehr mit Flüssigkeit versorgt wird. Der Druck auf die Nerven erhöht sich, Wirbel stoßen aufeinander und es kommt zu unerträglichen Schmerzen.
» Warum dauerhaftes gerades Sitzen der Bandscheibe schadet
Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2008 belegen, dass die aufrechte Sitzhaltung den Bandscheiben sogar schaden kann: Wissenschaftler der Universität Alberta in Edmonton erforschten, wie stark die Bandscheiben speziell bei von jungen gesunden Menschen in unterschiedlichen Sitzpositionen belastet werden. Mithilfe eines Magnetresonanztomografen (MRT) fand das Team heraus, dass bei einem im Winkel von 135 Grad nach hinten gelehntem Oberkörper der Druck auf die Bandscheiben am geringsten ist. Sogar eine zeitweise nach vorn gebeugte Sitzhaltung belaste die Wirbelsäule weniger.
Wirbelsäulenschäden durch langes gebeugtes Sitzen
Speziell Jugendliche sind durch eine passive und falsche Sitzhaltung stark gefährdet. Die stundenlange Konzentration auf ein spannendes Computerspiel etwa, führt dazu, dass der Körper unbewusst in sich zusammensackt und eine nach vorn gebeugte, vermeintlich bequeme Sitzhaltung eingenommen wird. Was für einen kurzen Zeitraum die Bandscheiben entlastet, führt bei Kindern und Jugendlichen über Jahre hinweg zu irreparablen Schäden der Wirbelsäule. Diese Schäden äußern sich beispielsweise in der Scheuermann-Krankheit bzw. dem Morbus Scheuermann.
» Wirbelsäule während der Pubertät besonders gefährdet
Diese für Jugendliche typische Wachstumsstörung ist darauf zurückzuführen, dass die Wirbelsäule während der Pubertät besonders anfällig für Fehlentwicklungen ist. Durch langes gebeugtes Sitzen und bei gleichzeitig schwacher Rückenmuskulatur werden typischerweise im Bereich der unteren Brustwirbelsäule die Wirbelkörper unverhältnismäßig stark belastet, und es kommt zu Schäden an den Knorpel-Knochen-Verbindungen der Deck- und Bodenplatten der Wirbelkörper. Die Schäden an Bandscheiben und Wirbelkörpern bleiben für den Rest des Lebens bestehen und führen bei anhaltender Fehlhaltung im Erwachsenenalter zu chronischen Schmerzen. Die zunehmende Degeneration bewirkt die Zunahme des Buckels.
» Die Lösung: aktiv dynamisch Sitzen
Die aufrechte und hintere, an die Rückenlehne angelehnte Sitzhaltung galt früher als das Non-Plus-Ultra der Ergonomie. Kurzfristig verspricht eine den Lendenwirbelbereich unterstützende Lehne zwar die Entlastung der dortigen Wirbel und Bandscheiben, doch langfristig tut man sich mit dieser Schonhaltung keinen Gefallen, denn sie verleitet zur unbewegten Passivität.
Erst seit ein paar Jahren propagieren Arbeitsmediziner die aktiv dynamische Sitzhaltung. Nach dem Motto „Die nächste Sitzhaltung ist immer dieBeste“ bleibt die Rückenmuskulatur ständig in Bewegung, was zu einer verbesserten Durchblutung führt. Nicht nur der Rücken profitiert von ständiger Bewegung, sondern auch die beim Sitzen im 90-Grad-Winkel schlecht durchbluteten Beine. Aus diesem Grund ist eine zeitweise nach hinten gelehnte Haltung der Gesundheit allgemein förderlicher, da der Winkel zwischen Rücken und Oberschenkel vergrößert wird.
» Öfter mal bewegen
Wer sich auf seinem Bürostuhl häufiger hin und her bewegt, das Körpergewicht von einer Seite auf die andere verlagert sowie Hüfte und Becken bewegt, aktiviert die gesamte Muskulatur und kann auf diese Weise die durch langes Sitzen bedingten Rückenbeschwerden vermeiden. Ein weiterer positiver Nebeneffekt: Die Bandscheiben werden optimal mit Nährstoffen versorgt.
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Der ideale Arbeitsstuhl & frei bewegliche Sitzflächen und Rückenlehnen
Weich gepolsterte Arbeitsstühle sind zwar sehr bequem. Doch mit fixierter Sitzfläche und Rückenlehne verleiten sie weiterhin dazu, zu lange in einer Sitzhaltung zu verharren. Nicht von ungefähr sind deshalb für Bildschirmarbeitsplätze ergonomische Drehstühle vorgeschrieben, die sich bezüglich ihrer Maße individuell an die Größe des „Besitzers“ einstellen lassen und zumindest über eine bewegliche Rückenlehne verfügen. Bewegliche Sitzflächen und Rückenlehnen veranlassen automatisch dazu, die Sitzposition ständig zu verändern.
» Arbeitsstuhl mit Synchronmechanik optimal
Als optimal gilt die Synchronmechanik. Bei Rückneigung senkt sich die Sitzfläche leicht nach unten bei gleichzeitig deutlicher Rückenneigung nach hinten. Der Gegendruck der Rückenlehne kann passend zum Körpergewicht eingestellt werden. Mit zunehmender Rückenneigung entsteht ein größerer Winkel zwischen Oberschenkel und Oberkörper.
» Gute Alternative: Spezielle Sitzhocker
Ergänzend sind spezielle Sitzhocker zu empfehlen, die mit ihren horizontalen und vertikalen Schwingeffekten dafür sorgen, dass Becken und Oberkörper noch mehr in Bewegung sind, um die Balance zu halten.